(Lesehighlight) Christopher Morley – Das Haus der vergessenen Bücher (Buchrezension)

das haus der verlorenen bücher cover

Liebe Freunde guter Literatur,

wir schreiben das Jahr 1919, ein Jahr nach dem Ende des ersten Weltkriegs. Irgendwo in Amerika – ich denke mir das nun einfach mal so – sitzt ein junger Mann an seinem dunklen Eichenholzschreibtisch, im Mund eine schlanke, lange Pfeife. Bläulicher Tabakrauch erfüllt die Luft, während sich in seinem Kopf die Idee für eine Geschichte formt. Eine Geschichte, die mich von der ersten bis zur letzten Seite fasziniert hat. Dieser Mann, welcher Shakesspeare vergöttert und zum Zeitpunkt seines Geistesblitzes bereits zahlreiche Zeitschriften publiziert hat, heißt Christopher Morley, Oxfordabsolvent und Sohn eines bekannten Mathematikprofessors. Während sich sein Vater für Zahlen zu begeistern wusste, widmete der junge Morley sein Leben dem Schreiben. Ich bin froh darüber, denn sonst wäre sein Roman »Das Haus der vergessenen Bücher«, welches nun in einer neuen Auflage im HoCa-Imprint Atlantik Verlag erschien, nie geschrieben worden. Damit wäre, das kann ich euch aus tiefstem Herzen versichern, die Welt um ein wundervolles Stück Literatur ärmer gewesen. Diesen Roman, den ich die vergangenen Tage verschlungen habe, möchte ich euch heute vorstellen. Wer gerne wissen möchte, welche Erfahrungen ich während der Leserunde mit diesem außergewöhnlichen Buch gesammelt habe, darf sich gerne meinen aktualisierten Artikel durchlesen. Dort findet ihr auch viele schöne Zitate aus dem Buch.

Eine Buchhandlung, in der es spukt

Roger Mifflin betreibt eine kleine antiquarische Buchhandlung in Gissing Street, mitten im schönen Stadt Brooklyn. Die Buchhandlung Parnassus ist jedoch keine gewöhnliche Anlaufstelle für Literaturliebhaber. Stets weht Tabakrauch durch die langen Reihen der Bücherregale, während sein Besitzer gerne des Abends mit einer heißen Tasse Kakao am warmen Feuer sitzt und aus seinem Buch vorliest. Wir schreiben das Jahr 1919, der Staub des ersten Weltkriegs hat sich noch nicht gelegt, doch New York blüht vor Lebensfreude. Mifflin lebt für seine Bücher, er liebt Literatur in seiner umfangreichen Vielfalt und gibt sein Möglichstes, um seine Kunden zufrieden zu stellen. Dabei wird er tatkräftig von seiner liebenswerten Ehefrau, seiner neuen Mitarbeiterin Titania und ihrem gemeinsamen Hund Bock unterstützt.

Als eines Tages Aubrey, Mitarbeiter einer Werbeagentur, vor seiner Türe steht und versucht, ihm die Vorteile moderner Werbemittel schmackhaft zu machen, lehnt Mifflin dankend ab. Dennoch verstehen sich die beiden recht gut und so wird Aubrey bald regelmäßiger Gast bei Ehepaar Mifflin, was auch der Schönheit der jungen Titania geschuldet sein mag. Als ein bestimmtes Buch verschwindet und seltsame Dinge vor sich gehen, wittert Aubrey Gefahr und beginnt, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen.

 

Der erste Eindruck eines Buches, wenn es vor mir auf dem Tisch in der Buchhandlung liegt, ist immer das Cover. Noch bevor ich den Klappentext las, wanderte mein Blick über die Details des blauen Umschlags. »Das Haus der vergessenen Bücher« hat ein wunderschönes Design, schlicht und nicht zu aufdringlich. Ich mag diese leicht zerknittert wirkende Papiertextur, das dunkle Taubenblau, welches einen Hauch von Vintage und eine anheimelnde Gemütlichkeit ausstrahlt. Als sehr gelungen empfinde ich den Entschluss der Designer, die kräftige Farbe mit einem weißen Rahmen zu umschließen. Dies verleiht dem Buch einen edlen Look – einfach schön. Auch die Wahl des geschwungenen Fonts in Verbindung mit dem Bücherfahrrad (womöglich eine Hommage an Mifflins Buchhandlung auf Rädern, welche im ersten Buch eine Rolle spielt; wir brauchen diese Übersetzung, lieber Atlantik Verlag!) gefällt mir ausgesprochen gut.

Wer von euch das Buch nun schon gelesen hat, dem wird aufgefallen sein, dass der Inhaber der Buchhandlung Parnassus ganz und gar nicht begeistert davon ist, wenn der erste Blick des Lesers erst einmal dem Cover gilt. Doch so sehr ich mich auch auf das Innenleben des Buches freue, bin ich der Meinung, dass auch sein Gewand sehr wohl ein Blickfang sein kann.

Zeitsprung ins Jahr 1919

Der Inhalt ist, wortwörtlich aus dem Kontext der Geschichte gegriffen, im positiven Sinne explosiv! Christopher Morleys Roman erschien erstmals im Jahr 1919, kurz nach dem ersten Weltkrieg. Eine Zeit, die geprägt war von Not, Angst um das eigene Leben und die Existenz. Doch auch eine Zeit, in der sich die Menschen von den Strapazen erholten, neuen Mut fassten und begriffen, wie kostbar jede einzelne Minute ihres Lebens war. Man ging wieder in Cafés, las Bücher, flanierte über die Einkaufsmeilen New Yorks und vergnügte sich in Zigarrenclubs. Inmitten dieser bezaubernden, historischen Kulisse hat Morley mit seinem Protagonisten Roger Mifflin eine Figur erschaffen, deren Herz für Literatur brennt und keine Zeit damit zu vergeuden gedenkt, sogenannte „vanillisierte Literaturzu verkaufen. Mifflin ist leidenschaftlicher Buchhändler und der festen Überzeugung, dass Menschen Bücher für ihr Seelenheil brauchen, auch wenn sie selbst sich gar nicht so recht wissen, dass und was sie lesen sollen.

Bücher enthalten die Gedanken und Träume der Menschen, ihre Hoffnungen, ihr Streben, alles, was an ihnen unsterblich ist. Aus Büchern lernen die meisten von uns, wie lebenswert das Leben doch ist. – Seite 116

Ich habe mich in der Buchhandlung Parnassus, in der es übrigens spuken soll, unheimlich wohl gefühlt. Mit jeder Zeile wurde ich tiefer zwischen die gut gefüllten Bücherregale gezogen, atmete den intensiven Geruch von Tabakdunst ein, spürte die Hitze der bibliophilen Leidenschaft und meinte fühlen zu können, wie meine eigenen Finger über die Buchrücken antiquarischer Buchschätze streiften. So sanft und ruhig die Handlung startete, so zügig nahm sie im letzten Drittel Fahrt auf und punktete mit einer Krimi-Rahmenhandlung, die mich durchaus zu überraschen wusste, im Gesamteindruck jedoch mehr als schmückendes, auflockerndes Beiwerk diente.

Charmante Buchperle!

Morleys harmonischer Sprachduktus wird von wohl formulierten Sätzen und eleganten Metaphern bestimmt, seine Worte schmiegen sich gerade zu mit Wonne an das Papier und man kann gar nicht anders, als mit strahlenden Augen zu lesen, bis selbige vor Müdigkeit zufallen. So geschehen gestern, als ich unbedingt noch ein Kapitel lesen wollte, nur noch ein einziges. In Zeiten von häufig wechselnden Rechtschreibregeln und neumodernem Sprachjargon ist es geradezu erholsam, die Worte des Autors in sich aufzusaugen, sich wieder einmal bewusst zu werden, wie schön und umfangreich unsere Sprache vor knapp einem Jahrhundert eigentlich war. Diese literarische Zeitreise machte mal wieder deutlich, wie sehr sich unser Sprachgebrauch im Laufe von 100 Jahren verändert hat, leider nicht immer zum Positiven. Ich ziehe für mich persönlich das Fazit, in Zukunft viel öfter zu älterer Literatur zu greifen und mich an diesen wohltuenden Sprachgebrauch wie in eine kuschlige Decke zu schmiegen.

Druckerschwärze und Schießpulver liefern sich seit vielen, vielen Jahren einen Wettkampf. Die Druckerschwärze ist in gewisser Weise im Nachteil, denn mit Schießpulver kann man einen Menschen in einer halben Sekunde in die Luft jagen, während man mit einem Buch manchmal zwanzig Jahre dafür braucht. Aber das Schießpulver zerstört sich zusammen mit seinem Opfer selbst, während ein Buch über Jahrhunderte hochexplosiv sein kann. – Seite 117

Vervollständigt wird das Gesamtbild durch sehr liebenswerte, charmante Figuren, einer ausdrucksstarken, nostalgischen Kulisse – welche schon nach kurzer Zeit intensive Bilder vor dem inneren Auge entfaltete – sowie einer schier unglaublichen Fülle an Aphorismen, deren Umfang den erlaubten Gebrauch des Zitatrechts bei weitem sprengen würde. Ich denke, die Tatsache, dass bereits kurz vor der Hälfte des Buches beinahe die Buchdarts zur Neige gingen, spricht eine deutliche Sprache. »Das Haus der vergessenen Bücher« birgt einen bibliophilen Zauber in sich, dem man sich nicht entziehen kann, ob man nun auf Seiten des Lesers oder des Buchhändlers steht. Morleys Roman ist so viel mehr als ein Buch, es ist eine leidenschaftliche Liebeserklärung an die Literatur. Ein Werk aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts, das definitiv zum Klassiker avancieren könnte. Ein Roman, welchen ich immer und immer wieder zur Hand nehmen, über den Buchrücken streichen, lesen und umarmen werde, nur um erneut diese Magie zu fühlen und gemeinsam mit diesem so höflichen, patenten Buchhändler Roger Mifflin über Bücher zu philosophieren.

wird das Gesamtbild durch sehr liebenswerte, charmante Figuren, einer ausdrucksstarken, nostalgischen Kulisse – welche schon nach kurzer Zeit intensive Bilder vor dem inneren Auge entfaltete – sowie einer schier unglaublichen Fülle an Aphorismen, deren Umfang den erlaubten Gebrauch des Zitatrechts bei weitem sprengen würde. Ich denke, die Tatsache, dass bereits kurz vor der Hälfte des Buches beinahe die Buchdarts zur Neige gingen, spricht eine deutliche Sprache. »Das Haus der vergessenen Bücher« birgt einen bibliophilen Zauber in sich, dem man sich nicht entziehen kann, ob man nun auf Seiten des Lesers oder des Buchhändlers steht. Morleys Roman ist so viel mehr als ein Buch, es ist eine leidenschaftliche Liebeserklärung an die Literatur. Ein Werk aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts, das definitiv zum Klassiker avancieren könnte. Ein Roman, welchen ich immer und immer wieder zur Hand nehmen, über den Buchrücken streichen, lesen und umarmen werde, nur um erneut diese Magie zu fühlen und gemeinsam mit diesem so höflichen, patenten Buchhändler Roger Mifflin über Bücher zu philosophieren.

Christopher Morley | Das Haus der vergessenen Bücher
Atlantik Verlag | 8. September 2014
Hardcover, 256 Seiten | 978-3-455-24006-1 | 18,00€
zum Buch beim Verlag

Mein Fazit: Ihr werdet dieses feine Buch lieben, das kann ich euch versprechen. Christopher Morley hat es geschafft, mich aus dem 21. Jahrhundert direkt in die Vergangenheit, ins New York des Jahres 1919 zu katapultieren und um ehrlich zu sein, bin ich mit meinen Gedanken immer noch tief in diesem Buch verankert. Roger Mifflin hat mich verzaubert und zum Schmunzeln gebracht, zum Nachdenken angeregt und zu Träumen inspiriert. Dieses Werk strahlt zeitlose Eleganz und Liebe zur Literatur aus, der man sich unmöglich entziehen kann. Ein bibliophiler Genuss auf hohem Niveau, für den man sich Zeit nehmen sollte, bei einem leckeren Kakao oder Kaffee. Vertraut mir, der bibliophile Funke wird überspringen und die Glut der Leidenschaft zum Buch wird noch lange nach dem Umblättern der letzten Seite in eurem Herzen weiterglühen. Mein Lesehighlight im September!

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