Nicola Yoon – Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt (Buchrezension)

Nicola Yoon Du Neben Mir Cover

Einen schönen Tag, liebe Leser!

Heute habe ich mal wieder eine kurze Rezension aus meiner Kategorie »Kurz belichtet« für euch. So lautete jedenfalls der Plan, bevor ich rund 1000 Worte geschrieben hatte, um euch meinen Eindruck zu diesem Buch zu schildern. Erst ein halbes Jahr später, nachdem ich Nicola Yoons Debüt zu Ende gelesen hatte, schrieb ich meine Empfindungen nieder. Ich bin normalerweise der Typ Blogger, der seine Gedanken relativ zeitnah zu (digitalem) Papier bringen muss, da sie sonst verloren gehen. Schon erstaunlich, dass das Leseerlebnis von »Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt«, das im Herbst bei Dressler erschien, noch so präsent ist, obwohl ich keine Notizen gemacht hatte. Neugierig? Dann los.

Everything Everything

„Wenn ihr Leben ein Buch wäre, sagt Madeline, würde sich beim Rückwärtslesen nichts ändern: Heute ist genau wie gestern und morgen wird sein wie heute. Denn Madeline hat einen seltenen Immundefekt und ihr Leben lang nicht das Haus verlassen. Doch dann zieht nebenan der gut aussehende Olly ein – und Madeline weiß, sie will alles, das ganze große, echte, lebendige Leben! Und sie ist bereit, dafür alles zu riskieren.“

Bereits im letzten Jahr wurde ich von einer Agentur angeschrieben und gefragt, ob ich Lust hätte, das Buch auf Instagram in einigen Bildern vorzustellen und meinen Lesern respektive Instagramfollowern so einen Einblick auf Cover und Illustrationen im Buch selbst zu geben. Ich persönlich mag diese Art Buchmarketing, da ich wahnsinnig gerne mit meiner Kamera arbeite. Nach kurzer Zeit hielt ich das Buch als Leseexemplar in den Händen und war begeistert, wie schön das Cover gestaltet ist. Die Neugier war groß und so verschlang ich das Buch in etwas mehr als 2 Tagen.

Für die fabelhafte Gestaltung, dank derer sich »Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt« definitiv zu meinen Coverjuwelen zählen darf, zeichnet sich das britische Designstudio Good Wives and Warriors verantwortlich. Die beiden Illustratorinnen haben aus dem Cover ein farbenfrohes, detailreiches Kunstwerk gezaubert. Die deutsche Variante unterscheidet sich dabei nicht sehr vom englischen Original, beide Cover gefallen mir sehr gut. Ich habe mich schließlich auch ein wenig auf der Webseite der beiden kreativen Illustratorinnen Becky Bolton and Louise Chappell umgesehen und bin von ihrem Stil sehr begeistert.

Gelungene Gesamtgestaltung

Auch zwischen seinen Buchdeckeln ist das Jugendbuch sehr fantasievoll gestaltet. Zahlreiche teilweise erfrischend humorvolle Illustrationen, wie Diagramme, Cartoons oder handschriftliche Notizen wurden immer wieder zwischen vergleichsweise kurzen Kapiteln eingebettet und sorgten so für reichlich Abwechslung beim Lesen. Innenillustrationen sind nun nichts Ungewöhnliches, man findet sie in zahlreichen Büchern jedweden Genres. Doch in diesem Fall war ich über deren Fülle überrascht.

 

Liebevolle Charakterzeichnung

Protagonistin Madeline ist mir von der ersten Seite an ans Herz gewachsen. Sie ist ein sehr sympathischer, intelligenter Teenager und hat aufgrund ihrer seltenen Immunerkrankung schon einiges in ihrem jungen Leben durchgemacht. Der einzige beständige Kontakt zur Außenwelt bilden ihre stets besorgte Mutter und Krankenschwester Carla, eine äußerst warmherzige Person, die ebenfalls vom ersten Augenblick an Sympathiepunkte bei mir sammeln konnte.

Wenn mein Leben ein Buch wäre, würde sich beim Rückwärtslesen nichts ändern. Heute ist genauso wie gestern. Morgen wird genauso sein wie heute. Im Buch von Maddy sind alle Kapitel gleich.
Bis Olly auftaucht. – Seite 178

Madeline verbrachte praktisch ihr ganzes Leben im Haus, das man auch als weißes, überdimensionales Sauerstoffzelt bezeichnen könnte. Diese Einschränkung hält sie jedoch nicht davon ab, zu einer starken, selbstbewussten Persönlichkeit heranwachsen. Im Gegenteil, Selbstmitleid ist für sie kein Thema, sie macht das Beste aus ihrer Situation. Wer denkt, dass er mal wieder ein Jugendbuch in der Hand hält, das sich tränenreich und dramatisch mit Krankheit und Tod beschäftigt, den kann ich beruhigen. Die Immunerkrankung der Protagonistin steht nicht im Mittelpunkt der Geschichte. Die junge Dame ist nämlich trotz allem ein ganz normaler Teenager, mit Träumen und Hoffnungen, ist sich aber auch der Tatsache bewusst, dass viele ihrer Wünsche und Zukunftsvorstellungen womöglich Träume bleiben würden. Unvergessen war für mich der Moment, als Olly in ihr Leben trat. Die Lovestory zwischen den beiden ist der Herzschlag dieses Buches, dessen Puls immer kräftiger durch die Seiten schlägt und mich mehr als einmal zum Lachen gebracht hat.

Ich wandere ziellos durchs Haus und sehe überall Olly. […] Ich stelle mir außerdem vor, wie ich hoch über der Erde schwebe. Vom Rand des Alls aus kann ich die ganze Welt auf einmal sehen. Meine Augen stoßen nicht gegen eine Wand oder eine Tür. Ich kann den Anfang und das Ende der Zeit sehen. Ich sehe die Unendlichkeit.
Zum ersten Mal seit langer Zeit will ich mehr, als ich habe. – Seite 93

Unaufdringliche Lovestory

Die beiden Teenager passten wirklich hervorragend zusammen. Ihre Liebesgeschichte schlug zunächst zarte Knospen und entfaltete sich im Laufe des Handlung schließlich zu einer immer farbenprächtigeren Blüte, ohne dabei kitschig oder aufdringlich zu werden. Nachbarsjunge Olly war der Farbtupfer in Madelines Leben, brachte sie zum Lachen und ihr Inneres zum Leuchten. Gerade dieser Humor brach wie ein Sonnenstrahl zwischen den Seiten hervor. Olly lehrte sie, dass die Welt dort draußen zwar für einen Menschen wie sie gefährlich, aber auch farbenfroh und aufregend sein kann. Es war wirklich schön mit anzusehen, wie er in Madelines sterilen Kokon rauschte und ihren Herzrhythmus völlig durcheinander brachte. Dabei ist sein eigenes Leben alles andere als farbenfroh, im Gegenteil. Mehr möchte ich an dieser Stelle jedoch nicht verraten.

 

Erfrischende Plotidee

Auch in »Du neben mir« hatte ich es wieder einmal mit der Ich-Perspektive zu tun, was mir jedoch dieses Mal deutlich weniger Probleme bereitete als sonst. Die Debütautorin schreibt in klaren, lebendigen Worten, verzichtet auf ewig lange, verschachtelte Sätze und ließ mich bis tief in die Seele ihrer Hauptfiguren blicken. Nicola Yoos Ausdrucksweise ist so herzlich und humorvoll, ihre Geschichte strahlten so viel Wärme aus. Man spürte die Hingabe zu ihren Charakteren und ihrer Geschichte wirklich in jeder Zeile. Die beiden Hauptfiguren sind wirklich goldig, anders kann man es nicht bezeichnen.

Alles, was ich über die Welt weiß, habe ich aus Büchern. Aber die Beschreibung eines Baumes ist kein Baum und tausend Küsse auf Papier sind nicht dasselbe wie das Gefühl von Ollys Lippen auf meinen. – Seite 179

Madeline und Olly sind keine Superhelden, ihre Leben sind weiß Gott nicht perfekt. Die Autorin beschreibt zwei junge, authentische Menschen wie dich und mich, auf dem Weg zum Erwachsen werden, mit allen damit verbundenen Höhen und Tiefen. So müssen Figuren sein, man möchte sich mit ihnen identifizieren können. Die Zielgruppe der 14- bis 17jährigen möchte sicherlich nicht den x-ten Jugendroman über verwöhnte Highschoolgören, todkranken Teenagern, klischeehafter Lovestory oder dergleichen lesen. Das dachte sich Nicola Yoon wohl auch und bedient daher keine lästigen Klischees. Wie sehr ich ihr doch dafür dankbar war. Die Amerikanerin hat mit »Du neben mir« eine sanfte, stimmungsvolle Geschichte zu Papier gebracht, die sich bis heute nachhaltig in meinem Gedächtnis verankerte. Mittlerweile ist fast ein halbes Jahr vergangen, seitdem ich das Buch beendet habe und kann mich heute noch sehr gut daran erinnern, wie ich beim Lesen empfand. Das passiert mir gerade bei Jugendbüchern nicht sehr oft, da die meisten Plots nach Schema F gestrickt sind. Erfrischend zu sehen, dass Nicola Yoon mit ihrer Grundidee ein wenig aus der Reihe tanzt. Ich bin gespannt, was uns von dieser Autorin noch erwarten wird.

Kleiner Kritikpunkt

Wer bis hierhin gelesen hat, wird sich nun vielleicht wundern, warum ich Nicola Yoons Debüt keine volle Punktzahl gebe. Nun, der Grund dafür ist der Wendepunkt der Geschichte. Erst einmal muss ich der Autorin ein Lob aussprechen, denn sie hat mich mit diesem Storytwist eiskalt erwischt. Im Leben nicht hätte ich mit dem gerechnet, was in den letzten Kapiteln geschah. Entweder habe ich nicht aufmerksam genug gelesen und die Andeutungen nicht erkannt, oder es gab schlichtweg keine. Natürlich werde ich euch nun nicht spoilern, keine Sorge.

Meine Kritik setzt an genau diesem Wendepunkt an, der leider für mich auch einen negativen Aspekt hat: Er war zu heftig. Schlicht und ergreifend. Es entzog sich ehrlich gesagt meinem Verständnis, warum die Autorin erst einen trotz aller schwierigen Umstände harmonischen Plot konstruierte, um zum Abschluss zumindest einen Charakter völlig zu demontieren. Zwar konnte ich schon ahnen, wie sich mancher Storyfaden entwickeln würde, doch das Ende hat mich ehrlich gesagt ziemlich geschockt. Es wirkte wie ein abgetrenntes Gliedmaß und passte einfach nicht zum restlichen Handlungsverlauf. Der Gesamteindruck war jedoch sehr positiv, so dass dieser Kritikpunkt lediglich in einem Punkt Abzug resultiert.

Nicola Yoon | Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt
Original: Everything Everything, 2015 | Übersetzung: Simone Wiemken

Dressler Verlag | September 2015 | ab 14 Jahren
Hardcover, 336 Seiten | 978-3-7915-2540-2 | 16,99€
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Mein Fazit: Nicola Yoon hat mit ihrem neuen Jugendbuch rund um Madeline und Olly wirklich Eindruck bei mir hinterlassen. Das erfrischend andere Setting sowie sympathische, intelligente Charaktere haben mein Herz erwärmt und für eine unterhaltsame Lesezeit gesorgt, welche letzten Endes viel zu kurz erschien. Einzig die Auflösung hat mich etwas aus der Bahn geworfen, doch tut dies dem Gesamtbild kaum Abbruch. Wer besonderen Schätze im dichten Dschungel der Jugendbücher sucht und den Wunsch verspürt, eine emotionale Liebesgeschichte fernab der typischen Klischees zu lesen, dem sei dieses Debüt herzlich empfohlen. 

 

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